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Poolstraße Hamburg

Standort: Poolstraße 12, Hamburg

Architekt: Johann Hinrich Klees-Wülbern

gebaut: 1844

zerstört/ geschleift: 1944

Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York
Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York

Der „Zweite Israelitische Tempel“ in der Poolstraße in Hamburg, Nachfolger eines seit 1811 bestehenden Provisoriums („Erster Israelitischer Tempel“), war die erste gebaute Reformsynagoge der Welt und gilt daher als Keimzelle des weltweiten liberalen Judentums, wie es heute vor allem in Nordamerika fortbesteht.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildete sich in Deutschland eine an der jüdischen Aufklärung (Haskala) orientierte Reformbewegung des Judentums, die eine religiöse Erneuerung hervorrief. Zugleich vollzog sich seit den 1840er Jahren eine Emanzipation der Juden und Jüdinnen mit rechtlichen Verbesserungen bis hin zur Gleichstellung. Aus dieser Lage heraus wurde der Neubau des Tempels beschlossen.

Heinrich Jessen (Zeichner) / Verlag von B.S. Berendsohn, Hmb. / MHG Neg.Nr. 1974.923
Heinrich Jessen (Zeichner) / Verlag von B.S. Berendsohn, Hmb. / MHG Neg.Nr. 1974.923

Der „Zweite Israelitische Tempel“ wurde im klassizistisch-neogotischen Stil mit maurischen Elementen errichtet und bot Platz für etwa 640 Personen. Die Lage des Tempels war ein Kompromiss zwischen einer freistehenden Synagoge und einer Hinterhofsynagoge – die rechtliche Gleichstellung mit christlichen Konfessionen war noch nicht erreicht. Trotz seiner Lage in zweiter Reihe blieb ein großer Vorplatz vor dem Gebäude, so dass der Tempel auf Bildern den Eindruck einer freistehenden Synagoge machte.

Etliche Teile des Baus entsprachen nicht den herkömmlichen Baumustern für Synagogen und wiesen auf das Reformprogramm hin, insbesondere was die baulichen Trennungen von Männern und Frauen betraf, die Verortung des Chors, sowie die Lage des Lesepults (Almemor), das näher an den Toraschrein heranrückte und damit den sogenannten synagogalen Raumkonflikt der traditionellen zentralen Anordnung des Almemor orthodoxer Synagogen aufzuheben versuchte.

Bálint Kemeny
Bálint Kemeny

Die Nutzung des „Zweiten Israelitischen Tempels“ durch die jüdische Gemeinde endete bereits 1931, wodurch der Tempel – wohl auch durch seine Hinterhoflage – von den Pogromen 1938 verschont blieb. Das Gebäude wurde jedoch bei einem Bombenangriff 1944 bis auf zwei ruinöse Teile zerstört, und geriet zunehmend in Vergessenheit. Der Standort des ehemaligen Tempels und Teile der Ruinen wurden zuletzt unter anderem durch eine Autowerkstatt genutzt. Seit 2003 stehen die Gebäudereste unter Denkmalschutz.

Historische Bedeutung hat der Tempel in der Poolstraße insbesondere als erster gebauter Tempel des liberalen Judentums. Die heute weitgehend brachliegenden Ruinen sind die letzten sichtbaren baulichen Überreste jüdischer Geschichte in der Hamburger Innenstadt. Sie werden bei der „Foundation for Jewish Heritage“ in London in der Liste der zwanzig gefährdetsten jüdischen Relikte Europas, die insgesamt über 3.000 Objekte umfasst, geführt.

David Leimdoerfer Collection, Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York
David Leimdoerfer Collection, Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York