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Baut die Synagogen wieder auf!

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.11.2017

Nichts spricht gegen den Wiederaufbau historischer Gebäude nach alten Plänen. Aber warum bleiben dabei jüdische Gotteshäuser außen vor? Ein Gastbeitrag.

 

Deutschland befindet sich im Bauwahn, in einem historisierenden Bauwahn. Wieder errichtet werden oder wurden das Stadtschloss Berlin, die Frankfurter Altstadt, das Stadtschloss Potsdam, bald die Schinkelsche Bauakademie, um nur einige wichtige Beispiele zu nennen. Erstaunlich geräuschlos verläuft der Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam; dieser Tage wird der Grundstein für die Wiedererrichtung des Turmes gelegt, vor dem sich seinerzeit Hitler und Hindenburg die Hand reichten und so den Schulterschluss des alten mit dem nationalsozialistischen Deutschland besiegelten.

Ich habe nichts gegen den Aufbau alter Gebäude nach alten Plänen. Auch kann ich nachvollziehen, dass nach den schweren Verheerungen, die die Bombardierungen der deutschen Innenstädte im Krieg verursacht haben, aus städteplanerischer und ästhetischer Sicht die Rekonstruktion eines Gebäudes ins Auge gefasst wird. Allerdings stellen die aktuellen Baustellen in ihrem Habitus und ihrem Geist eine eigenartig eindimensionale Sichtweise unserer deutschen Geschichte dar. Architektur ist immer auch Geschichtsschreibung. Und der Nachbau von Architektur ist immer auch die Rekonstruktion von Geschichte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage: Was wollen wir als Gesellschaft mit diesen wieder aufgebauten Gebäuden verdeutlichen? Welches Signal soll von ihrem Wiederaufbau ausgehen? Wollen wir Deutschen uns etwa „unsere Geschichte“ wieder zurückholen? Eine Geschichte, die vor Weltkriegen und Holocaust liegt und vermeintlich unbelastet ist?

Deutschland trägt eine Verantwortung

Die dunklen Kapitel unserer jüngeren Vergangenheit dürfen nie in Vergessenheit geraten. Sie müssen uns allzeit mahnen, dass wir uns immer und überall gegen Unmenschlichkeit, Diskriminierung und Verfolgung einsetzen. Es geht dabei nicht um eine individuelle Schuld der heutigen Generationen von Deutschen. Vielmehr trägt die deutsche Gesellschaft eine Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit – nicht rückwärtsgewandt, sondern nach vorne blickend. Aufgrund der Erfahrungen unserer Vergangenheit müssen wir uns dafür einsetzen, dass derart Schlimmes nie wieder geschehen kann. Nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo wir heute Einfluss haben. Und das sind große Teile der Welt.

In meinen Augen gehört Deutschland inzwischen zu den tolerantesten, weltoffensten, liberalsten, modernsten und fortschrittlichsten Ländern der Erde. Diese Entwicklung ist auch Ergebnis einer immer schon auf Einwanderung gründenden und von der Vermischung der unterschiedlichsten Kulturen geprägten Gesellschaft. Nur zur Erinnerung: Um das Jahr 1890 herum war das Deutsche Reich das Land mit der zweitgrößten Einwanderungsrate, direkt nach den Vereinigten Staaten. Nur ist das heute etwas in Vergessenheit geraten. Die momentanen Bauaktivitäten tragen dieser Geschichte jedenfalls keine Rechnung.

Wer die unterschiedlichen kulturellen Quellen der deutschen Geschichte ernst nimmt, der darf nicht so eindimensional bauen. Im Jüdischen Museum in Berlin hängen Dutzende Schwarzweißfotos von Synagogen, die vor dem Holocaust die deutschen Innenstädte geprägt haben. Aber wo findet sich dieses deutsche Erbe heute? Warum werden diese Synagogen nicht wieder aufgebaut? Also Gotteshäuser, die Naziterror und Krieg zum Opfer gefallen sind?

Alle bisherigen Rekonstruktionen blieben entweder halbherzig (so bei der großen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin, wo nur die Fassade wiedererrichtet wurde), oder aber es wurden uralte Fundamente ausgegraben und wiedererrichtet (etwa die mittelalterliche Erfurter Synagoge, die einfach ein Opfer des Zahns der Zeit war).

Jüdische Gemeinde am Fraenkelufer wächst

In Berlin gäbe es zum Beispiel eine Synagoge, deren Wiederaufbau konsequent wäre: die am Fraenkelufer in Kreuzberg. Errichtet vor etwas mehr als hundert Jahren, stand das Gotteshaus vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten für das stolze, selbstbewusste und heimatverbundene deutsche Judentum. Im Inneren hatte der Architekt barocke und mittelalterliche Stilelemente aufgenommen, auch um die lange Traditionslinie des Judentums in Deutschland zu markieren. Die Synagoge wurde bereits während der Pogrome am 9. November 1938 – der sogenannten Reichskristallnacht – schwer beschädigt. Was der Krieg übrig gelassen hatte, wurde schließlich Ende der 1950er Jahre abgerissen.

Nur ein Seitenflügel steht heute noch, in dem weiter jüdische Gottesdienste stattfinden. Allerdings wird dort der Platz langsam eng. Denn die Gemeinschaft am Fraenkelufer gehört zu den am stärksten wachsenden jüdischen Gemeinschaften in Berlin. Die Synagoge am Fraenkelufer steht also auch für eine neue, alte Wirklichkeit in Deutschland. Dazu liegt der Ort in einem Spannungsfeld, denn ringsum dominieren multiethnische und migrantisch geprägte Kieze. Gerade dort wäre die Rekonstruktion eines jüdischen Gotteshauses ein starkes Zeichen: in direkter Nachbarschaft zu muslimischen Gemeinden. Was läge näher, als die Synagoge am Fraenkelufer wieder aufzubauen?

In Zeiten, in denen Rechtspopulisten in den Bundestag einziehen, in denen Pegida-Schreihälse durch deutsche Straßen ziehen, in denen sich jüdische Mitbewohner mit ihrer Kippa auf dem Kopf aber auch nicht mehr in Stadtteile wie Neukölln oder Kreuzberg hinein trauen, wäre es ein starkes Zeichen, diesen alten, zutiefst deutschen Ort wieder aufzubauen.

Wir sollten den Mut fassen und diesen Teil unserer nationalen Erzählung ebenso selbstbewusst bekräftigen wie das Deutschland der Schlösser und Kirchen. Ich werde den Wiederaufbau einer Synagoge wie der am Fraenkelufer auf jeden Fall unterstützen. Gemeinsam mit einem Netzwerk aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft. Je mehr Personen uns dabei unterstützen, umso besser. Und wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann dass wir in einem Jahr, am 80. Jahrestag der Schändung der Synagogen, ein starkes Zeichen für einen baldigen Wiederaufbau setzen.

Der Autor ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.